LITERATUR
Ein systematischer Ablauf von kollegialer Beratung dient der koordinierten und wirkungsvollen Beratung in der Gruppe.
Bei kollegialer Beratung widmet sich eine Gruppe dem aktuellen beruflichen Praxisfall eines ihrer Mitglieder. Um den Beratungsprozess so zu gestalten, dass er für den:die Beratene:n nützliche Erkenntnisse bereithält, müssen sich die Mitwirkenden gut abstimmen. Sie benötigen ein Strukturkonzept, das ihnen eine klare Orientierung für den Ablauf des kollegialen Beratungsprozesses vorgibt, sowie die Aufgaben der Mitwirkenden definiert.
Hier skizzieren wir einen Ausschnitt aus dem Ablaufkonzept zu kollegialer Beratung von Dr. Kim-Oliver Tietze, das im Praxisbuch zu kollegialer Beratung umfassend beschrieben wird.
Egal wie groß die Gruppe ist: Es gibt eine:n Fallerzählende:n, eine:n Moderierende:n und Beratende, die während einer kollegialen Beratung in ihren Rollen bleiben.
Sie:er wird zu einer aktuellen beruflichen Praxissituation beraten. Die:der Fallerzählende schildert seine:ihre Perspektive auf das Fallgeschehen, sodass die Beratenden eine Vorstellung davon entwickeln können. Er:sie formuliert eine Schlüsselfrage, die sein:ihr aktuelles Anliegen widerspiegelt, und wirkt daran mit, eine passende Beratungsmethode zu bestimmen.
Der:die Moderierende leitet die Gruppe durch die Phasen der kollegialen Beratung an. In der Phase der Spontanerzählung unterstützt er:sie den:die Fallerzählende:n durch klärende Fragen darin, sein:ihr Thema zu entfalten. Der:die Moderierende achtet darauf, die Autonomie des:der Fallerzählenden gewahrt bleibt und die Mitwirkenden wertschätzend mit ihm:ihr umgehen.
Die weiteren Mitglieder der Gruppe nehmen die Rolle von Beratenden ein. Sie lassen sich durch den:die Moderator:in für die Dauer der kollegialen Beratung anleiten. Sie hören dem:der Fallerzählenden aufmerksam zu, stellen an der passenden Stelle Verständnisfragen und bieten in der Beratungsphase ihre Ideen und Perspektiven entsprechend des gewählten Beratungsmoduls an.
Die Kunst einer kollegialen Fallberatung liegt darin, der Komplexität des Praxisfalls hinreichend gerecht zu werden und die Beratung sinnvoll zu fokussieren. Der Beratungsprozess wird in Teilschritte gegliedert, die systematisch aneinander anknüpfen.
Auf diese Weise entsteht ein Beratungsgespräch, das produktive Ergebnisse für den:die Beratene:n erbringt.
01
Casting
Nachdem ein:e Anwesende:r zu seinem:ihrem Praxisfall einen Beratungswunsch erklärt und damit die Rolle des:der Fallerzählenden hat, nehmen die übrigen Mitwirkenden die weiteren Beratungsrollen ein: Moderierende:r, kollegial Beratende und Sekretär:in.
In einer kurzen Runde äußern Gruppenmitglieder ihre Bedarfe, zu einer aktuellen beruflichen Praxissituation neue Perspektiven und Lösungsideen erhalten. Die Gruppe verständigt sich mit Blick auf Dringlichkeit und Wichtigkeit auf den nächsten Praxisfall, der kollegial beraten wird.
Ein Gruppenmitglied übernimmt die Aufgaben des:der Moderierenden, der:die die Gruppe durch die weiteren Phasen der kollegialen Beratung führt.
Die anderen Mitwirkenden nehmen die Rolle kollegial Beratender ein. Ein:e kollegiale:r Beratende:r wird zum:zur »Sekretär:in« (nur) für die Phase 5 der kollegialen Beratung. Er:sie unterstützt den:die Fallerzählende:n, indem er:sie die Ideen der Beratenden mitschreibt.
Wenn alle Mitwirkenden bereit sind, kann die Gruppe zur nächsten Phase übergehen.
02
Spontan-erzählung
Der:die Moderierende bittet den:die Fallerzählende:n, seinen:ihren aktuellen Praxisfall zu schildern. Der:die Fallerzählende braucht sich auf die Falldarstellung nicht vorzubereiten.
Insgesamt etwa zehn bis zwölf Minuten lang berichtet der:die Fallerzählende aus seiner:ihrer subjektiven Perspektive, was die Gruppe zu seiner:ihrer Praxissituation erfahren sollte, um den Fall einigermaßen zu verstehen.
Der:die Moderierende unterstützt den:die Fallerzählende:n bei seiner:ihrer Schilderung durch aktives Zuhören und klärendes, fokussierendes Fragen.
Die kollegial Beratenden hören dem:der Fallerzählenden vor allem aufmerksam zu, können aber auch sparsam Verständnisfragen stellen. Sie machen sich ein Bild vom Praxisfall, vom Handeln und von den Sichtweisen der darin Beteiligten.
Wenn alle Mitwirkenden eine hinreichende Vorstellung des Praxisfalls aus Perspektive des:der Fallerzählenden gewonnen haben, kann die Gruppe zur nächsten Phase übergehen.
03
Schlüssel-frage
Die »Schlüsselfrage« des:der Fallerzählenden spiegelt ein konkretes Beratungsanliegen oder wünschenswertes Ziel in Form einer Frage wider, zu der der:die Fallerzählende Klärungen, Handlungsideen und Perspektiven der Beratenden wünscht: »Wie kann ich erreichen …«
Der:die Moderierende lädt den:die Fallerzählende:n ein, eine Schlüsselfrage zu seinem:ihrem soeben präsentierten Praxisfall zu formulieren.
Der:die Fallerzählende kann durch den:die Moderierende:n und die Beratenden mit mehreren Formulierungsvorschlägen dabei unterstützt werden, das eigene Anliegen in eine Schlüsselfrage zu übersetzen: »Eine Schlüsselfrage könnte sein: Wie kann ich …?« Angeregt durch die Vorschläge wählt der:die Fallerzählende dann eine Schlüsselfrage aus, die dessen:deren aktuelles Anliegen am besten trifft.
Wenn der:die Fallerzählende eine für sie:ihn stimmige Schlüsselfrage gefunden hat, kann die Gruppe zur nächsten Phase übergehen.
04
Methoden-wahl
Ein zu wählendes Beratungsmodul konkretisiert, auf welche Art die Beratenden in der folgenden Phase 5 zur Klärung, Beratung oder Unterstützung des:der Fallerzählenden beitragen.
Je nach Beratungsmodul erhält der:die Fallerzählende zu seiner:ihrer Schlüsselfrage ein etwas anderes inhaltliches »Beratungsprodukt« durch die Gruppe.
Wenn der:die Fallerzählende ein für sie:ihn passendes Beratungsmodul ausgewählt hat, kann die Gruppe zur nächsten Phase übergehen.
Der:die Moderierende leitet den Prozess der Auswahl eines Beratungsmoduls an. Der:die Fallerzählende ist eingeladen, ein Beratungsmodul vorzuschlagen, dass seinem:ihrem Anliegen am ehesten gerecht wird: Was könnte für ihn:sie klärend und erkenntnisreich sein?
Moderator:in und Beratende können den:die Fallerzähler:in bei der Auswahl unterstützen und alternative Module empfehlen.
Die folgenden sechs Beratungsmodule stammen aus einer Methodensammlung mit 20 Beratungsmodulen, mit denen Anliegen zu Praxisfällen kreativ und passgenau beraten werden. Die vollständige Methodensammlung findet sich im Praxisbuch zu kollegialer Beratung.
05
Beratung
In dieser Phase sind die Beratenden aktiv, während der:die Fallerzählende aufmerksam zuhört. Die Aufgabe der Beratenden besteht darin, dem Erkenntnis- bzw. Lösungswunsch des:der Fallerzählenden zu entsprechen. Dafür fassen sie ihre Annahmen, Ideen oder Gefühle gemäß des gewählten Beratungsmoduls in passende Wortbeiträge.
Der:die Moderierende erläutert anfangs Ziel und Regeln des gewählten Beratungsmoduls und übergibt dann den Beratenden das Wort. Er:sie behält den:die Fallerzählende:n und dessen:deren Befinden im Blick, achtet darauf, dass sich die Beratenden an Sinn und Regeln dieser Phase und des Beratungsmoduls orientieren und wacht über den Zeitrahmen von etwa zehn bis zwölf Minuten.
Die Beratenden tragen ihre vielfältigen Perspektiven, Impulse und Ideen zusammen – stets mit Blick auf Praxisfall, Schlüsselfrage und Anliegen des:der Fallerzählenden sowie entsprechend Fokus und Leitlinien des Beratungsmoduls.
Dabei sprechen die Beratenden prägnant, konkret und respektvoll. Sie äußern sich abwechselnd, mit jeweils nur einem Kerngedanken pro Wortmeldung. Inhaltlich abweichende oder einander inhaltlich widersprechende Beiträge der Beratenden sind erwünscht.
Der:die Fallerzählende hört den Beiträgen der Beratenden in dieser Phase nur zu und lässt sie auf sich wirken.
Der:die Beratende mit der Aufgabe »Sekretär:in« notiert die Redebeiträge der Beratenden im Kern mit. Online schreiben die Beratenden ihre Beiträge in den Chat der Videokonferenz. So kann der:die Fallerzählende sich ganz auf die Inhalte konzentrieren.
Wenn der:die Fallerzählende genügend Anregungen bekommen hat und die Zeit um ist, kann die Gruppe zur nächsten Phase übergehen.
06
Abschluss
Die Abschlussphase einer kollegialen Beratung besteht aus einem inhaltlichen Resümee des:der Fallerzählenden und weiteren optionalen Elementen.
Der:die Fallerzählende resümiert seine:ihre Erkenntnisse und Einsichten bezogen auf seinen:ihren Praxisfall und sein:ihr Anliegen. Er:sie nimmt Stellung zu ausgewählten Beiträgen der Beratenden, die ihm:ihr besonders bedenkenswert, anregend und hilfreich erscheinen. Danach bedankt er:sie sich bei allen Mitwirkenden für deren Unterstützung.
Der:die Sekretär:in übermittelt seine:ihre Notizen der Beiträge der Beratenden.
Der:die Moderierende kann sich ein Feedback der Beteiligten zu seiner:ihrer Moderation einholen. Alle Mitwirkenden können die Güte des gerade realisierten Beratungsprozesses reflektieren, um daraus für die nächsten kollegialen Beratungen zu lernen.
Damit endet die kollegiale Beratung eines Praxisfalls. Die Gruppe kann sich anschließend oder beim nächsten Treffen einem neuen aktuellen Praxisfall eines Gruppenmitglieds zuwenden.
Wer eine Gruppe aufbauen möchte, die kollegiale Beratung wirkungsvoll praktiziert, findet hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, erprobte Methoden und viele Praxisbeispiele.
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